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Arbeitsgestaltung in Pflegeeinrichtungen: Fokus auf Heimbewohner:innen schafft Win-win-win-Situation

Die Lücke zwischen Pflegebedarf und -angebot wächst. Um diese zu schließen, ist es neben einem Angebotsausbau wichtig, vor allem in geriatrischen Pflegeeinrichtungen gute und attraktive­ Arbeitsbedingungen zu schaffen. Ein Gestaltungsspielraum dazu ist in der Regel vorhanden.

Zu diesem Zweck hat MMag. Peter Eckerstorfer, MPH, Arbeitspsychologe in der AUVA, im Rahmen verschiedener AUVAfit-Projekte die Arbeitsbedingungen für Mitarbeiter:innen im Pflege- und Reinigungsbereich ­mehrerer geriatrischer Pflegeeinrichtungen untersucht und analysiert. Auf Basis dieser Ergebnisse wurden gemeinsam mit den Einrichtungen entsprechende Arbeitsgestaltungsmaßnahmen entwickelt und umgesetzt.

Das Präventionsprogramm AUVAfit zielt auf eine Reduktion von arbeitsbedingten psychischen Belastungen und Belastungen des Bewegungs- und Stützapparats ab. AUVAfit wird Betrieben aller Branchen, deren Beschäftigte bei der AUVA versichert sind, kostenlos angeboten (auva.at/auvafit).

Problemfelder bei Arbeitsbedingungen

Die Arbeitsbedingungen in Pflegeeinrichtungen sind durch hohe physische und psychische Belastungen geprägt. Die Ursachen dafür können im Wesentlichen auf vier Bereiche eingeschränkt werden:
Schwächen in der Arbeitsorganisation erweisen sich vor allem aufgrund eines mangelnden Konsenses der verschiedenen Berufsgruppen zu einer heimbewohner:innenorientierten Ge­­­­­staltung von Tätigkeiten.

Schwächen der Führung zeigen sich insbesondere aufgrund einer Diskrepanz zwischen klaren Vorgaben, Zielen und Leitsätzen und dem Vertrauen bei der Einräumung einer kooperativen Selbstorganisation und Durchführungs(selbst-)verantwortung. Das bedeutet, dass den Beschäftigten nur ein unzureichender Tätigkeitsspielraum zugestanden wird, in dessen Rahmen es erlaubt ist, Kooperationen selbst zu organisieren, um – vor allem heimbewohner:innen­orientierte – ­Tätigkeiten gemeinschaftlich optimal zu gestalten und umzusetzen.
Schwächen in der Kommunikation bestehen vor allem beim informellen und kollegialen Austausch und Feedback – sowohl innerhalb als auch zwischen den Berufsgruppen und Hierarchien.

Schwächen der Unternehmenskultur erschweren es, sich frei und wertgeschätzt äußern zu können, zu dürfen und zu wollen, bewirken eine mangelhafte Konfliktkultur sowie den fehlenden Eindruck, dass Vorschläge ernsthaft wahrgenommen und bearbeitet werden (Partizipationskultur).

Steigende Betreuungsintensität

Vor allem aber entsteht psychische Arbeitsbelastung durch eine steigende Betreuungsintensität der Heimbewohner:innen: Die dafür notwendigen Handlungs- und Gestaltungsspielräume der Mitarbeiter:innen erweisen sich als zu gering, ein Austausch über Beziehungsaspekte der Arbeit und damit einhergehende emotionale Anforderungen findet meist ungenügend statt oder fehlt gänzlich. Daraus folgt eine „abgespeckte“ Form der Beziehungsarbeit mit Heimbewohnern:-bewohnerinnen, die sich weder mit Vorstellungen noch Wünschen der Mitarbeiter:innen deckt.

Ein Lösungsansatz: sozial-­aktivierende Arbeitsgestaltung

Zwei zentrale Prinzipien erweisen sich als essenziell bei der Gestaltung von Arbeitsbedingungen im Pflegebereich: eine heimbewohner:innenorientierte Beziehungsarbeit sowie die Möglichkeit zu einer kooperativen Selbstorganisation und Durchführungs(selbst-)verantwortung von Tätigkeiten innerhalb eines Rahmens mit klaren Zielen, Vorgaben und Leitsätzen.
Diese beiden Prinzipien bilden die zentralen Eckpunkte einer sozial-aktivierenden Arbeitsgestaltung, der auch das für AUVAfit erstellte Analyse- und Interventionsmodell zur Gestaltung guter Arbeitsbedingungen (Abb.) zugrunde liegt.
Eine solche Form der Arbeitsgestaltung bietet einen Handlungsrahmen, der den menschlichen Basismotiven nach Kontrolle und Einflussnahme sowie Persönlichkeitsentwicklung und Kompetenzerweiterung gerecht wird und der die für Berufe in Pflegeeinrichtungen so wichtige Sinnstiftung generiert – durch klare Werte, Ziele und Leitsätze hinsichtlich einer Heimbewohner:innen­orientierung.
Dazu ist eine Führung, die diese Prinzipien und Ideen lebt und die Mitarbeiter:innen bei deren Umsetzung unterstützt, unverzichtbar. Damit werden günstige sozial-kommunikative Bedingungen für eine lösungsorientierte kollegiale, informelle Kommunikation geschaffen, die zu einer Stärkung der fachlichen und sozial-emotionalen Kompetenzen der Mitarbeiter:innen und zu guten innerbetrieblichen sozialen Beziehungen beitragen.

Eine günstige Gestaltung dieser ­Rahmenbedingungen fördert überdies eine emotionale Bindung an die Einrichtung und ihre Werte und Ziele. Damit werden – als Kernprinzip einer sozial-aktivierenden Arbeitsgestaltung – die Grundlagen für eine vertrauens- und respektvolle sowie anteilige und lösungsorientierte Gestaltung der Beziehung zu Heimbewohnern:-bewohnerinnen, Kollegen:Kolleginnen, Angehörigen als auch zur Führung und Verwaltung geschaffen.

Darüber hinaus wird im Alltag von Pflegeeinrichtungen auch ein günstiger Umgang mit Ungewissheiten und Unwägbarkeiten gefördert. Diese können und sollen nicht nur als Störung und Irritation, sondern auch als Potenzial verstanden werden, indem sie zu einem Überdenken und gegebenenfalls zu einer aktiven Anpassung oder Änderung der Arbeitsgestaltung durch Mitarbeiter:innen selbst beitragen können (job crafting).

Beteiligungsorientierte Begleitberatung

Basis einer optimierten Arbeitsgestaltung bilden die in einer genauen Analyse der Arbeitsbedingungen gewonnenen Erkenntnisse, anhand derer verschiedene Maßnahmen erarbeitet werden. Idealerweise geschieht dies im Rahmen einer beteiligungsorientieren Begleitberatung, in die Mitarbeiter:innen verschiedener Verwendungsgruppen und hierarchischer Positionen eingebunden sind. Dabei wird gute Wirkung im Zusammenspiel verschiedener Arbeitsgestaltungsmaßnahmen erzielt, die in der Regel mit den in der Analyse gewonnenen Erkenntnissen untermauert werden.

Maßnahmenfelder der Arbeitsgestaltung

Arbeitsorganisation: Für die Gestaltung von Aufgaben und Tätigkeiten braucht es vor allem gemeinsame Vorstellungen, Werte und Regeln, was eine Heimbewohner:innen­orientierung ausmacht und wie diese umgesetzt werden kann. Dabei geht es vor allem darum, auf Bedürfnisse der Heimbewohner:innen zu fokussieren, damit diese ein weitgehend eigenständiges, erfülltes Leben führen können. Davon abgeleitet können Aufgabenbereiche, Rollenverteilungen und eine berufsgruppenübergreifende Zusammenarbeit – etwa durch einen persönlichen Austausch über die alltägliche Aufgabenerfüllung entsprechend der wechselseitigen Erwartungen – erörtert und gegebenenfalls nachgebessert werden. Das fördert das Vertrauen in eine kooperative Selbstorganisation und Durchführungs(selbst-)verantwortung.

Führung: Notwendig ist die Definition einer wertschätzenden, mitarbeiter:innenorientierten Führungshaltung und -ausübung, die die Befugnis beinhaltet, Vorgaben zu benennen und diese auch durchzuhalten. Damit entsteht – idealerweise entlang einer prozessbezogenen Zeitbewertung mit hohen Handlungs- und Gestaltungsspielräumen der Mitarbeiter:innen – Vertrauen bezüglich der Einräumung einer kooperativen Selbstorganisation und Durchführungs(selbst-)verantwortung.

Kommunikation und Information: Es müssen Gelegenheiten zur Stärkung eines sozialen Miteinanders geschaffen werden: Möglichkeiten zur Teamarbeit und zu einem wechselseitigen informellen Erfahrungsaustausch hinsichtlich einer Heimbewohner:innenorientierung und wechselseitiger Erwartungen dazu sowie eine lösungs- und stärkenorientierte kollegiale und informelle Feedback-Kultur.

Unternehmenskultur: Freie Äußerungen und das Einbringen von Vorschlägen sollen nicht nur ermöglicht werden, sondern erwünscht und wertgeschätzt sein (Partizipationskultur). Außerdem braucht es einen guten Umgang mit Fehlern und Konflikten sowie positive Sanktionen (Anerkennung).

Qualifikation: Hinsichtlich einer (Weiter-) Qualifizierung der Mitarbeiter:innen bedarf es günstiger – vor allem auch informeller – kommunikativer Gelegenheiten für einen Austausch über emotionale Anforderungen und einer Partizipation am Wissensschatz erfahrener Kollegen:Kolleginnen.

Ausblick

In weiteren AUVAfit-Projekten von MMag. Eckerstorfer werden Arbeitsbedingungen für gute, im Sinne heimbewohner:innenorientierter, Beziehungsarbeit beschrieben und damit explizit(er) und auch sichtbar(er) gemacht. Gestaltungsressourcen werden erarbeitet und benannt und dienen als Anregung für eine verbesserte heimbewohner:innenorientierte Arbeitsgestaltung. Damit kann eine Win-win-win-­Situation entstehen: Für Mitarbeiter:innen, für Heimbewohner:innen und für (Träger von) Pflegeeinrichtungen. Bei Interesse an einer AUVAfit-Beratung kontaktieren Sie uns.

Info & Kontakt

MMag. Peter Eckerstorfer, MPH
Fachkundiges Organ für Arbeits- und Organisationspsychologie sowie für Arbeits- und Organisationssoziologie
Tel.: +43 5 9393-20750
peter.eckerstorfer@auva.at

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Arbeit in Pflege­einrichtungen ist immer auch Beziehungsarbeit.
© Volkshilfe-SZ Frohnleiten, Stmk.
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