Eine repräsentative Erhebung aus Deutschland zeigt, dass zirka jede:r zweite Beschäftigte immer oder oft stehend arbeitet und sich jeder:jede Siebente dadurch belastet fühlt. Im Rahmen des Präventionsschwerpunkts 2021/22 „Packen wir’s an“ zu Muskel-Skelett-Erkrankungen gibt die AUVA Tipps, wie Gesundheitsschäden durch langes Stehen vermieden werden können. „Aus medizinischer Sicht ist Stehen für die Gesundheit günstiger als Sitzen: Man verbraucht mehr Kalorien, der Muskelapparat ist aktiver als beim Sitzen und nicht zuletzt kommt man aus einer stehenden Position leichter in Bewegung als aus einer sitzenden“, stellt Dr. Kurt Leodolter, MSc PHM, Facharzt für Arbeitsmedizin in der AUVA-Landesstelle Graz, fest. Erst diese Bewegungsmöglichkeit macht aus einem Steharbeitsplatz einen Arbeitsplatz, der gesundes Arbeiten ermöglicht.
Problematisch wird ein Steharbeitsplatz dann, wenn man über lange Zeit in der gleichen Zwangshaltung verharren muss und wenige Möglichkeiten hat, sich zu bewegen. Oft kommen zur Belastung durch das Stehen weitere Risikofaktoren dazu, etwa laufend die gleichen Hand-Arm-Bewegungen wiederholen oder ungünstigen Umgebungsbedingungen wie Kälte oder Zugluft ausgesetzt sein. Auch psychische Belastungen wie Stress durch Zeitdruck spielen eine Rolle.
Steharbeitsplätze unter der Lupe
Tätigkeiten, die stundenlanges Stehen erfordern, kommen in unterschiedlichen Berufen vor, so zum Beispiel im Verkauf, in der Produktion oder in der Gastronomie. Mag. Michaela Strebl, Fachkundiges Organ Ergonomie in der AUVA-Hauptstelle, hat im Rahmen eines Projekts Steharbeitsplätze in Großküchen untersucht. „Die Arbeitshöhe ist oft nicht anpassbar und die Spülen sind sehr tief, wodurch man sich weit vorneigen muss. Häufig fehlt ein ausreichender Fußraum“, so die Ergonomin.
Bei der Arbeitsplatzevaluierung, etwa durch die Leitmerkmalmethode „Körperzwangshaltung“, wird überprüft, ob Arbeitnehmer:innen einer Belastung durch langes Stehen ausgesetzt sind. Dieses gilt als Zwangshaltung, wenn der:die Betroffene nicht die Möglichkeit hat, sich zu bewegen, die Arbeitshaltung durch den Arbeitsprozess vorgegeben ist und kein Haltungswechsel, etwa durch Sitzen oder Gehen, erfolgt. Ergibt die Evaluierung ein erhöhtes Risiko, sind entsprechende Maßnahmen zu treffen.
Arbeiten mehrere Beschäftigte am selben Steharbeitsplatz, ist die Höhe der Arbeitsfläche idealerweise an alle Nutzer:innen anpassbar, im Optimalfall durch eine elektrische Verstellmöglichkeit. Lässt sich das nicht umsetzen, kann man eine Tischauflage, eine Schneidbretterhöhung oder ein Podest verwenden. Bei Letzterem sollte darauf geachtet werden, dass es nicht durch Umknicken oder Stolpern zu einer erhöhten Unfallgefahr kommt.
Greif- und Fußraum
Um ein Vorbeugen oder Rotieren des Oberkörpers zu vermeiden, müssen die benötigten Arbeitsmittel griffbereit sein. „Steharbeit ist häufig mit wiederholt gleichförmiger Belastung der Arme verbunden, z. B. bei Fließbandarbeit. Der Greifraum sollte nicht zu groß sein, in der Regel maximal 60 cm, unter Berücksichtigung der Körpermaße“, erläutert Strebl. Auch die Möglichkeit, sich abzustützen, etwa auf beweglichen Armstützen, bringt eine Erleichterung.
Weniger sichtbar und daher oft vernachlässigt ist der Fuß- und Beinraum. Dieser reicht bei Arbeiten an Maschinen häufig nicht aus, wodurch man mit den Knien anstößt. Der Fußraum sollte mindestens 10 bis 20 cm betragen. Kann man abwechselnd ein Bein hochstellen wie in einer Bar, sorgt das für eine Unterbrechung der statischen Haltung. Bei ausreichendem Beinraum bietet sich auch die Verwendung von Stehhilfen an.
Dämpfender Boden und gutes Schuhwerk
An einem Steharbeitsplatz sollte sich ein elastischer, dämpfender Bodenbelag befinden. Leodolter empfiehlt einen wärmegedämmten, aber nicht zu warmen Boden, da sich durch Wärme die Venen weiten. Diese werden durch langes Stehen ohnehin schon in Mitleidenschaft gezogen, weil aufgrund der statischen Haltung der Rückfluss des Blutes beeinträchtigt ist. Krampfadern können die Folge sein. Arbeitsplatzmatten sind bei frontaler Tätigkeit geeignet, bei häufigen Drehbewegungen kann das Kniegelenk belastet werden. Die Matten dürfen kein Hindernis, etwa für Transportwagen, darstellen oder zu Unfällen führen.
Mit organisatorischen Maßnahmen lässt sich die Dauer der stehenden Tätigkeit verkürzen bzw. diese unterbrechen. Sinnvoll sind ein Wechsel zwischen sitzenden und stehenden Tätigkeiten sowie Pausen, wobei mehrere kurze besser sind als eine lange. Pausen lassen sich für Ausgleichsübungen oder zur Entspannung, zum Beispiel zum Sitzen oder Hochlagern der Beine, nutzen.
Eine wichtige Maßnahme ist die Wahl hochwertiger, an die Tätigkeit angepasster Schuhe. Sind an einem Arbeitsplatz Sicherheitsschuhe vorgeschrieben, müssen sie von dem:der Arbeitgeber:in zur Verfügung gestellt werden. „Bei Sicherheitsschuhen steht Funktion vor Design, aber heute gibt es auch modische Modelle zur Auswahl“, betont Thomas Schützeneder, Geschäftsführer von SCHÜTZE-SCHUHE, einem österreichischen Hersteller von Sicherheitsschuhen.
In Berufen, in denen kein Sicherheits- oder Berufsschuh vorgeschrieben ist, sollten die Beschäftigten selbst auf hohe Qualität achten. Schützeneder gibt Tipps: „Der Schuh muss einen guten Halt bieten, auch seitlich, damit man einen sicheren Stand hat. Ein Fußbett mit nach oben gezogenen Seiten im Fersenbereich verteilt das Gewicht von der Mitte nach außen. Die Erhöhung auf der Innenseite, die vom Ballen zur Ferse verläuft, unterstützt das Längsgewölbe. Zu kleine oder spitze Schuhe, die die Zehen zusammendrücken, fördern die Entstehung eines Hallux. Der Absatz sollte maximal 1,5 bis 2 cm hoch sein.“
Spezielle Stehhilfen
Dass jemand, dessen Beine nicht mehr belastbar sind, trotzdem an einem Steharbeitsplatz arbeiten kann, zeigt das Beispiel der Steh- und Bewegungshilfen der Standing Ovation GmbH des Erfinderduos Peter Lammer und Bernhard Tichy. Lammer, von Beruf Koch, wollte nach einem schweren Motorradunfall an seinen früheren Arbeitsplatz zurückkehren und wandte sich an seinen Freund Tichy. Dieser konstruierte einen Prototyp des Hilfsmittels, der Lammer die Berufsausübung wieder ermöglichte. Im AUVA-Rehabilitationszentrum Häring ist die Konstruktion seit 2018 in der Therapiewerkstatt in Verwendung. (rp)