Zu viel Stress am digitalisierten Arbeitsplatz? Abschalten hilft! Gemeint ist damit einerseits, in der Freizeit den „Aus“-Schalter von Handy und Computer zu drücken. Damit widersteht man der Versuchung, zu Hause noch schnell etwas zu erledigen, das sich im Büro nicht mehr ausgegangen ist, wie etwa E-Mails zu beantworten. „Abschalten“ heißt aber ebenso, sich gedanklich nicht ständig mit beruflichen Dingen zu beschäftigen. Wer auch mental den richtigen „Schalter“ betätigt, kann trotz eines von Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) bestimmten Arbeitsalltags Erholung finden.
Dieser Ansicht ist Univ.-Prof. Dr. Gerhard Blasche vom Zentrum für Public Health an der Medizinischen Universität Wien. Beim Forum Prävention der AUVA von 23. bis 25. Mai 2023 in Wien referierte er über das Thema Arbeit und Erholung mit Schwerpunkt Digitalisierung. Probleme bei der Erholungssuche bereiten seiner Meinung nach die Intensivierung und die Entgrenzung von Arbeit, die mit der Verbreitung von IKT in immer mehr Berufe Einzug halten.
Intensivierung der Arbeit
Die Auswirkungen der Digitalisierung auf Arbeit und Erholung betrachtet Blasche differenziert. Hinsichtlich der Intensivierung der Arbeit ist – zumindest aus der Perspektive der Arbeitgeber:innen – die Erhöhung von Effizienz und Produktivität positiv zu bewerten. Die Anforderung, ständig Neues zu lernen – etwa, weil man sich auf die jeweils aktuelle Software-Version einstellen muss –, sieht er ebenfalls als Pluspunkt.
Eine Intensivierung der Arbeit bedeutet aber auch stärkeren Zeitdruck. „Die Erwartungen haben sich verändert, wir sollen schneller werden und rascher reagieren, etwa auf Anfragen per E-Mail“, nennt Blasche ein Beispiel. Mit der größeren Anzahl an Informationen erhöht sich auch die Menge der Arbeit. Außerdem führt jede eintreffende Nachricht zu einer Unterbrechung der Tätigkeit, die man gerade ausübt. Die Arbeit wird weniger planbar, das Stresslevel steigt.
Entgrenzung der Arbeit
Ob man eine Entgrenzung der Arbeit eher als Vorteil oder als Nachteil einstuft, hängt von der Segmentierungspräferenz ab, also von der persönlichen Vorliebe für eine Trennung bzw. Vermischung von Arbeit und Freizeit. Entgrenzung kann aufgrund der freieren Zeiteinteilung als Gewinn für die persönliche Autonomie gesehen werden. Wer hingegen eine strikte Trennung bevorzugt, tut sich meist schwerer damit abzuschalten, wenn berufliche Aufgaben außerhalb der eigentlichen Arbeitszeit erledigt werden müssen.
Oft bewirkt Entgrenzung, dass die Zeit, die man mit beruflichen Tätigkeiten verbringt, in Summe zunimmt. Dadurch neigt man leichter dazu, die Gedanken ständig um die Arbeit kreisen zu lassen, so Blasche: „Eine mentale Distanzierung ist schwierig.“ Die Vermischung von Arbeit und Freizeit kann zu kürzerem und schlechterem Schlaf führen, was das allgemeine Wohlbefinden beeinträchtigt. Wenn zu wenig Zeit für die engsten Angehörigen bleibt, sind auch familiäre Konflikte möglich, die wiederum eine psychische Belastung darstellen.
Erholung und Ermüdung
Die Intensivierung der Arbeit und eine Ausdehnung der beruflichen Tätigkeiten in den Bereich der Freizeit steigern den Erholungsbedarf. Problematisch wird das insbesondere, wenn durch die Mehrarbeit weniger Zeit zum Erholen zur Verfügung steht oder es nicht gelingt, geistig abzuschalten. Für „aktive Erholung“, die einen auf anderen Gedanken bringen könnte, fehlt laut Blasche oft die Energie: „Man ist zu ermattet, um effiziente Erholungsstrategien zu verwirklichen.“ Abhilfe schaffen kann eine bewusste Planung von Erholungsmaßnahmen.
Dafür ist es sinnvoll, über den Verlauf von Ermüdung und die Wirkungsweise von Erholung Bescheid zu wissen. Bei einer klassischen Arbeitswoche von Montag bis Freitag lässt sich eine typische Ermüdungskurve beobachten: Die Ermüdung steigt von Sonntag bis Donnerstag an und sinkt dann bis zum nächsten Sonntag wieder ab. Dabei zeigt sich ein sogenannter antizipatorischer Effekt: Offenbar bewirkt schon die Vorfreude auf die beiden freien Tage eine Abnahme der Müdigkeit – eine Entwicklung, die sich bereits im Verlauf des Sonntags wieder umkehrt.
Erholungszeiten
Um der Ermüdung während der Arbeitswoche entgegenzuwirken, sollte man mit der Erholung nicht bis zum Wochenende warten. Es ist daher sinnvoll, immer wieder Pausen einzulegen – am besten mehrere kürzere statt weniger langer. Blasche zitierte eine Studie, nach der die erholsame Wirkung einer Pause rund 90 Minuten anhält. Darüber hinaus reduzieren Pausen das Unfallrisiko erheblich.
Auch die Anzahl der Arbeitsstunden pro Tag spielt für die Ermüdung eine Rolle. Der Idee, die Tagesarbeitszeit deutlich zu erhöhen und dafür das Wochenende um einen Tag zu verlängern, steht Blasche skeptisch gegenüber: „Jenseits des Zehnstundentages beginnt die Gesundheit zu leiden, und man ist weniger produktiv. Ab zwölf Stunden zeigt sich ein starker Ermüdungsanstieg.“ Betrachtet man Urlaub unter dem Erholungsaspekt, sollte man sich mindestens zehn Tage am Stück freinehmen.
Gestaltung der Erholung
Wie man die Freizeit verbringt, beeinflusst ihren Erholungswert. Wesentlich ist es, eine mentale Distanzierung von der Arbeit zu erreichen. Allein schon der Gedanke an Berufliches kann den Erholungseffekt beeinträchtigen, was etwa für den Bereitschaftsdienst gilt. Gelingt das „Abschalten“ nicht, empfiehlt es sich, genauer auf eine Trennung von Arbeit und Freizeit zu achten, nicht ständig erreichbar zu sein sowie Erholungszeiten fix einzuplanen.
Eine erholsame Freizeitgestaltung kann, je nach individuellen Vorlieben, unterschiedlich aussehen: Bewegung in der freien Natur, die Beschäftigung mit einem Hobby, ein Bad genießen oder eine Entspannungstechnik wie autogenes Training praktizieren. Vor allem eines ist dabei wichtig, betont Blasche: „Je mehr Freude die Freizeit macht, desto erholsamer ist sie.“ (rp)