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Forschung: Alt werden – aber bitte gesund!

Jede:r von uns will alt werden, aber niemand will alt sein. Das Alter steht für Lebenserfahrung, Weisheit und ­Gelassenheit, aber oft auch für körperliche ­Einschränkungen, Schmerzen und Krankheit. Die Alters­forschung setzt hier auf senolytische Wirkstoffe.

Gesund altern, aber wie? Genau dieser Frage geht Ass. Prof. Dr. Johannes Grillari, Direktor des Ludwig Boltzmann Instituts für Traumatologie, des Forschungszentrums in Kooperation mit der AUVA, nach. Sein Forschungsgebiet ist die Zellalterung. Gemeinsam mit seinem Team sucht er nach Wegen, wie sich Altersprozesse besser verstehen und beeinflussen lassen. Der Fokus liegt auf einem Phänomen, das mit fast allen altersbedingten Erkrankungen in Verbindung steht: der zellulären Seneszenz.

Wenn Zellen in Pension gehen

Seneszente – gealterte – Zellen sind Zellen, die sich nicht mehr teilen. Sie sind sozusagen in den Ruhestand gegangen. Aber ruhig sind sie bei Weitem nicht – sie senden laufend Signale in ihre Umgebung, die andere Zellen irritieren. Dieser sogenannte senescence-associated secretory phenotype (SASP) sorgt dafür, dass entzündungsfördernde Botenstoffe, Thrombose-fördernde Faktoren oder Enzyme, die das Bindegewebe stören, ausgeschüttet werden.

Mit zunehmendem Alter, durch Verletzungen der Gewebe oder durch zellulären Stress, wie etwa UV-Strahlung, DNA-Schäden oder oxidative Prozesse, häufen sich seneszente Zellen im Körper, hemmen die Funktion von ge­sunden Zellen, schwächen das Immunsystem und tragen zur Entstehung oder ­Verschlechterung zahlreicher alter­sassoziierter Erkrankungen bei. Dazu zählen Herz-Kreislauf-Erkrankungen, neurodegenerative Leiden wie Alzheimer und Parkinson, Erkrankungen des Bewegungsapparats, Lungen­fibrose oder chronische Nierenerkrankungen – also genau jene Krankheitsbilder, die das Leben im Alter stark beeinträchtigen können. Im Kontext von Regeneration nach Verletzungen hemmen seneszente Zellen die regenerativen Fähigkeiten des umliegenden Gewebes – ein Grund für langsame Wund- oder Knochenheilung im Alter.

Senolytika: Hoffnungsträger der Alters- und regenerativen Medizin

Hier kommen sogenannte Senolytika ins Spiel – Wirkstoffe, die seneszente Zellen erkennen und beseitigen können. In Mäusen konnte man beobachten: Werden die Störenfriede entfernt, verbessern sich die Gewebefunktionen, Entzündungen gehen zurück, Heilungs- und Regenerationsprozesse nehmen wieder Fahrt auf. Die Mäuse sind kräftiger und aktiver, Wunden schließen sich schneller.

Doch was bei Mäusen funktioniert, ist beim Menschen noch lange nicht zugelassen. Erste klinische Studien laufen bereits mit in den USA entwickelten Senolytika, etwa bei Patienten:Patientinnen mit Lungenfibrose, Lebererkrankungen oder Alzheimer im Frühstadium. Der Wirkstoffcocktail aus dem Krebsmedikament Dasatinib und Quercetin, einem natürlichen Pflanzenstoff, der etwa in Zwiebeln oder Äpfeln vorkommt, zeigt erste Erfolge, etwa bei der Linderung körperlicher Einschränkungen. Durch eigene Forschung ist auch ein neuer Wirkstoff entdeckt worden, der als Senolytikum wirkt und den das Team am LBI Trauma derzeit untersucht. Um ihn auch in die Klinik zu bringen, wurde ein Spin-off-Unternehmen gegründet, das aus einer Forschungsarbeit an der Universität für Bodenkultur, der Medizinischen Universität Wien und dem LBI Trauma hervorging. „Die große Hoffnung ist, dass wir den Körper gezielt von den schädlichen Zellen entlasten, ohne gleichzeitig jene zu entfernen, die nützlich sind“, so Grillari.

Denn: Auch seneszente Zellen haben positive Seiten. Vorübergehende Seneszenz spielt zum Beispiel bei der Embryonalentwicklung oder in frühen Phasen der Wundheilung eine wichtige Rolle. Hier können die Signale helfen, Umbauprozesse im Gewebe einzuleiten. Man könnte sagen: Ein bisschen Sudern kann produktiv sein, es weist auf ein Problem hin und bringt Bewegung in festgefahrene Strukturen. Aber wenn permanent und ohne Zweck gesudert wird, kippt die Stimmung.

MICSE: Gemeinsame Sprache für die Seneszenzforschung

Damit Forschende weltweit Seneszenz vergleichbar untersuchen können, hat Grillari gemeinsam mit Mikolaj Ogrodnik die sogenannten MICSE-Leitlinien ins Leben gerufen. Diese „Minimal Information on Cellular Senescence Experimentation in vivo“ bieten erstmals einen international anerkannten Standard für die Untersuchung seneszenter Zellen im lebenden Organismus. Sie definieren, welche Marker zuverlässig Auskunft geben, welche Kombinationen von Methoden notwendig sind und wie unterschiedliche Gewebe analysiert werden können.
Forschende rund um den Globus arbeiteten Hand in Hand an dem Leitfaden, um der Alternsforschung eine gemeinsame Basis zu geben. Veröffentlicht wurden die MICSE-Leitlinien 2024 in der renommierten Fachzeitschrift Cell.

Fazit

Statt über das ewige Leben zu fantasieren, setzt Grillaris Forschung auf ge­sunde Jahre. Senolytika könnten in Zukunft dabei helfen, chronische Erkrankungen zu lindern. Denn eines ist klar: Altern ist unausweichlich. Aber wie wir altern – das lässt sich vielleicht doch beein­flussen. (cs)

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Die Lebenserwartung steigt kontinuierlich an, häufig nimmt die Zahl der gesunden Lebensjahre im Alter aber nicht im gleichen Ausmaß zu.
© Harbucks/iStock