Wird die Haut durch eine Verletzung geschädigt, folgt unmittelbar darauf die Blutung. Bis dann die Prozesse der Wundheilung zu beobachten sind, vergeht allerdings einiges an Zeit. Was genau zwischen Verwundung und Heilung in der Haut passiert und wie die Zellen dort auf diese Veränderung reagieren, ist aktuell noch weitgehend unbekannt. Die biomedizinischen Forscher:innen von SHoW setzen sich daher intensiv mit eben jenem Zeitraum auseinander, der zwischen der Gewebeschädigung und den beobachtbaren Heilungsprozessen liegt. Dr. Nadja Ring, Helene Dworak, MSc., und ihre Kollegen:Kolleginnen in der Arbeitsgruppe von Dr. Mikolaj Ogrodnik können bislang zeigen, dass infolge einer Verletzung in der Haut das ribosomale Protein S6, kurz rpS6, innerhalb von Minuten in einer klar definierten Zone um die Wunde aktiviert wird. Mit der Aktivierung von rpS6 signalisieren die gesunden Zellen in der Wundumgebung kurz nach der Verletzung dem Gewebe, dass die vorhandene Situation eine nicht alltägliche Reaktion erfordert. Das Gewebe setzt diese Reaktion schließlich in Form von Wundheilung um.
Biologisch-musikalische Parallelitäten
Wie in einem gut eingespielten Orchester übernehmen die Zellen im Gewebe der geschädigten Haut ihre jeweils spezifischen Rollen. Die Orchestermusiker:innen bringen in Zusammenarbeit miteinander und gut abgestimmt aufeinander die Noten auf den Blättern vor sich als Musik zum Klingen. Ähnlich läuft Wundheilung ab: Die gesunden Zellen, die die Wunde umgeben, übersetzen die Wundsignale in Wundheilung. Dieses unverletzte, aber reaktive Gewebe können die Forscher:innen der SHoW Gruppe mithilfe einer Färbung gegen das aktivierte p-rpS6 Protein sichtbar machen (links in Rot dargestellt). Dieser Bereich umfasst eine verstärkte Zellteilung, Neubildung von Blutgefäßen und die Einleitung der Zellalterung, der sogenannten zellulären Seneszenz. Sowohl bei der Verletzung als auch beim Orchesterspiel hängt der Erfolg stark von der funktionierenden Kommunikation zwischen den mitwirkenden Zellen oder Musikern:Musikerinnen ab. Wenn sie gelingt, steht am Ende eine verheilte Wunde in der Haut oder eben ein gelungenes Konzert.
Rolle der Gesundheitspolitik
Eine gestörte Wundheilung muss nicht immer biologische Ursachen haben. Das CoCreation Team von LBG SHoW hat mit Wundexperten:-expertinnen gesprochen, öffentliche Dokumente, Gesetzestexte und Literatur ausgewertet und in einem Wundbericht zusammengefasst. Die Schlussfolgerung: Im österreichischen System mangelt es aktuell an entsprechender Koordination. Damit Patienten:Patientinnen die Chance auf ein Leben ohne chronische Wunde haben, müssen mehrere Gesundheitsberufe zusammenarbeiten. Denn Betroffene sind darauf angewiesen, dass Experten:Expertinnen die Ursachen beispielsweise ihrer offenen Beine erkennen und behandeln. Während chronische Wunden oft ältere Personen betreffen, erhöht die Zunahme an Gefäßerkrankungen und Diabetes auch bei jüngeren Menschen das Risiko.
„Unsere Vorstellung von Wunden ist stark von Verletzungen wie Schnitt- oder Schürfwunden geprägt. Waschen, Pflaster drauf, passt schon. Chronische Wunden sind anders. Sie werden mit der Zeit oft sogar größer”, erklärt die Erstautorin und Forschungsgruppenmitarbeiterin Dr.in Conny Schneider.
Pflegefachkräfte, Ärzte:Ärztinnen für Allgemeinmedizin sowie Fachärzte:-ärztinnen der Dermatologie, Gefäßchirurgie, Angiologie und Diabetologie müssen sich über institutionelle Grenzen hinweg absprechen, damit bei der betroffenen Person die Ursache, also ihre Primärerkrankung, zum Beispiel eine bestimmte Durchblutungsstörung, gefunden und entsprechend behandelt wird. Die Kommunikation der Fachkräfte ermöglicht zudem, dass Patienten:Patientinnen rasch die angemessenen Verbandsmaterialien erhalten können. Derzeit geschieht dies häufig nur, wenn sich Einzelpersonen engagieren. Eine österreichweit einheitliche Behandlungsqualität für alle Wundpatienten:-patientinnen kann so jedoch nicht gewährleistet werden. Aus unterschiedlichen Vorerkrankungs-„Einfahrten“ kommend, wie der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK), venöser Insuffizienz oder Diabetes mellitus, drehen die Patienten:Patientinnen im Kreisverkehr der Wundbehandlung gemeinsam ihre Runden – mitunter über Monate ohne gestellte Diagnose. Ob und wie schnell Personen da wieder herauskommen können – und möglichst nicht mit einer weiteren Wunde wieder hineingelangen –, liegt neben der Beteiligung der Betroffenen vor allem in der Verantwortung der Systemgestalter:innen.
Ludwig Boltzmann Forschungsgruppe
Die Ludwig Boltzmann Forschungsgruppe für Alterung und Wundheilung (LBG SHoW) ist ein Schwesterinstitut des Ludwig Boltzmann Instituts für Traumatologie, des Forschungszentrums in Kooperation mit der AUVA, und am Traumazentrum Wien, Standort Lorenz Böhler, beheimatet. SHoW steht für „Senescence and Healing of Wounds“, also Seneszenz und Wundheilung. Die Forschungsgruppe betrachtet Wundheilung und Alterung aus verschiedenen Perspektiven – biomedizinisch, sozialwissenschaftlich und aus der Perspektive der Versorgungsforschung.
Der Wundbericht des CoCreation Teams beschäftigt sich mit der Versorgung chronischer Wunden durch das österreichische Gesundheitssystem. https://doi.org/10.5281/zenodo.6406108