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Knochenersatz aus dem 3-D-Drucker

„Use it or lose it.” Was nicht verwendet wird, geht verloren. Das gilt für Muskeln, fürs Gehirn und auch für den Knochen. Gerade in der Kieferchirurgie stellen Abbauvorgänge eine enorme Herausforderung dar. In einem EU-Projekt wurde nun ein weltweit einzigartiges Implantat ­entwickelt, um sich dieser Herausforderung zu widmen.

Das Feld der Geweberegeneration beschäftigt sich mit der Erneuerung verloren gegangenen Gewebes. Am Ludwig Boltzmann Institut für Traumatologie, dem Forschungszentrum in Kooperation mit der AUVA, gibt es dafür eine eigene Forschungsgruppe. Die Anwendungsfälle sind so vielfältig wie die Arten, wie Knochen verloren gehen können: von komplexen Brüchen und Quetschungen bis hin zum schleichenden Verlust durch Krankheit oder das Unvermögen, den Knochen zu belasten.

Die Wiederherstellung von verloren gegangenem Knochen, genannt augmentative Chirurgie, geht selten ohne Ersatzmaterial vonstatten. Am schnellsten ist der Ersatz im selben Körper gefunden. Doch unser Körper ist gut durchdacht. Wird ihm etwas weggenommen, fehlt es an der Entnahmestelle. Es braucht also andere Ansätze. DIE perfekte Lösung sucht die Wissenschaft noch immer. Metallische Implantate sind jahrzehntelang erprobt und somit das Mittel der Wahl, wenn schnell das Gröbste repariert werden muss, jedoch haben viele Menschen kein gutes Gefühl dabei, einen Fremdkörper in sich zu tragen. Biologische Ansätze sind elegant und nutzen natürliche Heilungsvorgänge, aber der Behandlungserfolg ist stark abhängig vom Gesundheitszustand der Patienten:Patientinnen.

Im von der EU geförderten INKplant-Projekt arbeiteten 19 Partner aus sieben Ländern unter Führung des oberösterreichischen Unternehmens Profactor zusammen, um neue Lösungen für die Regeneration von Knochen zu finden. Personalisiert sollen sie sein, gut verträglich, belastbar, nicht zu teuer in der Herstellung. All das fanden die Wissenschaftler:innen im 3-D-Druck.

Kieferersatz: Auf Heilung nicht warten müssen

Von Beginn an hatten die Experten:Expertinnen von INKplant eine besonders komplexe kieferchirurgische Anwendung vor Augen: Gehen Zähne verloren, schwindet der Kieferknochen. Implantate brauchen jedoch diesen Kieferknochen für die Einheilung. Ein Dilemma, das derzeit nur durch einen langwierigen Prozess in mehreren Eingriffen bewältigbar ist. Der Knochen muss aufgebaut werden, die Verankerungen müssen einheilen, erst nach vielen Monaten ist der Einsatz der Zahnkronen möglich. Kein Wunder, dass Patienten:Patientinnen dabei operationsmüde werden können. Mehrere Monate Einheilung machen medizinisch durchaus Sinn, doch für den:die Patienten:Patientinnen bedeutet es ein Ausharren zwischen Behandlung und Heilung.

Bei Zahnverlust nach Unfällen sieht die Sache nochmals schwieriger aus. Szenarien finden sich leider viele, auch im Arbeitskontext: Ein:e Arbeiter:in sieht nach oben, bevor er:sie durch einen herabfallenden Stein getroffen wird. Oder er:sie fällt nach unten und kommt mit dem Gesicht auf. Auch bei Radunfällen – etwa auf dem Weg zur Arbeit – kommen häufig die Zähne zu Schaden. Nach einem Unfall ist mehr als nur das Knochengewebe betroffen, auch umliegendes Weichgewebe ist verletzt, was den Aufbauprozess zusätzlich erschwert.

Durch Paradigmenwechsel zur Weltneuheit

2024 brachte schließlich eine spektakuläre Erfolgsmeldung. Im Kepler Universitätsklinikum in Linz wurde unter der Leitung von DDr. Christoph Staudigl weltweit erstmals ein 3-D-gedrucktes subperiostales Kieferimplantat aus Keramik eingesetzt. Subperiostal bedeutet, dass das Implantat unterhalb der „Beinhaut“, dem weichen Bindegewebe, das den Knochen umgibt, eingesetzt wurde und nicht auf Kieferknochen für die Einheilung angewiesen ist. Im letzten Jahrhundert scheiterten die subperiostalen Implantate, weil weder die Materialien noch die Fertigung ausgereift genug waren. Durch technische Fortschritte wurde im INKplant-Projekt diese alte Technik mit modernsten Materialen kombiniert: „Wir verbinden ein altes Konzept mit modernen Werkstoffen und digitalem Workflow. Im Zeitalter des 3-D-Drucks haben wir mit der österreichischen Firma Lithoz einen Weltmarktführer mit an Bord. Keine andere Firma druckt Implantate aus Zirkon mit diesen mechanischen Eigenschaften“, zeigt sich DDr. Staudigl beeindruckt.

Personalisiertes Konstrukt aus besonderer Keramik

Nicht nur die Belastbarkeit, auch das Potenzial zur Osseointegration, zum Einwachsen des Implantats in den umliegenden Knochen, ist erfolgsentscheidend bei der Entwicklung. Verläuft die Integration erfolgreich, ist sie viel stabiler als jede Schraubverbindung. Ein vom Körper gut angenommenes Material „klebt“ sicher an Ort und Stelle. Zirkon hat sich dabei als besonders gewebeverträglich erwiesen. Es wächst gut ein und ist um ein Vielfaches weniger anfällig für Entzündungen, die bei Titanimplantaten eine sehr häufige Komplikation darstellen.

Der digitale Arbeitsablauf erleichtert den Prozess für alle Beteiligten. Patienten:Patientinnen müssen lediglich in einem Computertomografen Platz nehmen, ein hochauflösendes 3-D-Bild wird direkt an den Hersteller übermittelt, ein 3-D-Drucker übernimmt die Arbeit.

Wissenschaft und Klinik

Kooperationen zwischen Klinik und biomedizinischer Forschung sind nicht so alltäglich, wie sie das von außen scheinen mögen. Beide haben dasselbe Ziel vor Augen, gehen es aber aus verschiedenen Blickwinkeln an: Klinikerinnen:Klinikern ist stets bewusst, dass sie mit Menschen arbeiten, sie gehen auf Nummer sicher und lassen auch mal fünf gerade sein, wenn es Patienten:Patientinnen hilft. Wissenschaftler:innen können es sich leisten, die perfekte Lösung zu suchen und dafür auch mal Risiken einzugehen oder unkonventionelle Ansätze zu verfolgen. „Wer wirklich Neues erfinden will, kann gar nicht verrückt genug sein“, steht an der Tür zu LBI Trauma.

Umso schöner war es, die Zusammenarbeit zwischen DDr. Staudigl und der Knochengruppe am LBI Trauma mitzuerleben. Was anfangs nur als beratende Kooperation gedacht war, wurde durch gemeinsames Interesse an der Sache bald mehr. Am LBI Trauma arbeitete man daran, ein neues Modell für die Osteointegration zu entwickeln. Doch die mikrochirurgischen Eingriffe sind einfacher gesagt als getan. Hier kamen die routinierten Hände von DDr. Staudigl ins Spiel. Letztendlich führten Wissenschaft und Klinik die präklinischen OPs Seite an Seite durch.

Die Zusammenarbeit zwischen Forschung und Klinik zu fördern, ist DDr. Staudigl schon lange ein Anliegen. Als Leiter der „Next Generation“-Gruppe der Österreichischen Gesellschaft für Implantologie setzt er sich dafür ein, junge Zahnmedizinier:innen für die Wissenschaft zu begeistern.

Außerdem zeigt er, was die Wissenschaft für die Praxis liefern kann. „Das ist, wie einen Blick in die Küche zu erlauben“, scherzt er. „In der Forschung sehen wir, was die Zukunft bringt.“ (cs)

Zur Person

Neben der Tätigkeit als Oberarzt für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie am Kepler­universitätsklinikum Linz ist DDr. Christoph Staudigl Lektor für Kieferchirurgie an der ­Johannes Kepler Universität Linz und Zahnmedizinische Anatomie an der Sigmund Freud Universität Wien. Es ist ihm wichtig, ­Anatomie weg vom trockenen Angstfach hin in ein praxisrelevantes Setting zu bringen. Mit Erfolg – seine Fächer zählen zu den am besten bewerteten des Studiengangs.

Foto eines 3D-gedruckten Knochenersatzes
Die Forschung rund um die Geweberegeneration hat viele Anwendungsbereiche: von Knochenbrüchen und Quetschungen bis zum schleichenden Verlust der Belastbarkeit der Knochen.
© Inkplant