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Rückenschmerzen vorbeugen

Lastenhandhabung ist ein Risikofaktor für Muskel-­Skelett-Erkrankungen (MSE). Präventionstipps gab es bei einer AUVA-Informationsveranstaltung in Graz.

Wer häufig schwere Lasten hebt, trägt, zieht oder schiebt, hat eine deutlich höhere Wahrscheinlichkeit für Erkrankungen des Bewegungs- und Stützapparats. Bei der AUVA-Informationsveranstaltung „Risikofaktor Lastenhandhabung – Prävention arbeitsbedingter Muskel-Skelett-Erkrankungen“ am 8. März 2022 in Graz wurden Methoden zur Gefährdungsbeurteilung und Schutzmaßnahmen vorgestellt.

Da rund ein Drittel aller Arbeitnehmer:innen regelmäßig mit schweren Lasten hantiert, ist die Anzahl der Gefährdeten groß. Das gilt für unterschiedlichste Berufsgruppen, wie DI Dr. Hannes Weißenbacher, Direktor der AUVA-Landesstelle Graz, bei der Eröffnung der Veranstaltung betonte: „Muskel-Skelett-Erkrankungen betreffen nicht nur das Bau- und das Transportgewerbe, sondern auch Arbeitsplätze, bei denen wir es gar nicht vermuten würden.“

In welchen Branchen das Risiko für MSE besonders hoch ist, erklärte Univ.-Prof. DI Dr. Stephan Letzel von der Mainzer Johannes-Gutenberg-Universität. Die meisten Krankenstandstage entfallen auf Verkehrs- und Lagerberufe, gefolgt von Metallerzeugung und -bearbeitung sowie an dritter Stelle chemische Industrie und Kunststoffverarbeitung. Unter der „Volkskrankheit Rückenschmerzen“ leiden insgesamt 66 Prozent der Frauen und 56 Prozent der Männer.

„Der Großteil der arbeitsbedingten Muskel-Skelett-Erkrankungen betrifft den Rücken, dicht gefolgt von den oberen und und deutlich vor den unteren Gliedmaßen“, sagt Dr. Kurt Leodolter, MSc., Facharzt für Arbeitsmedizin vom Unfallverhütungsdienst der AUVA-Landesstelle Graz. Neben körperlichen beeinflussen psychosoziale, organisatorische und individuelle Faktoren die Wahrscheinlichkeit für Erkrankungen des Bewegungs- und Stützapparats. Auch als Folge von Arbeitsunfällen können MSE auftreten.

Risiken und Maßnahmen

Zur Beurteilung der Gefährdung am Arbeitsplatz können unterschiedliche Analysemethoden eingesetzt werden. Dazu zählen die Leitmerkmalmethoden, die Peter Schams, MSc, von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) in Berlin beschrieb: „Zuerst ist festzustellen, welche Belastungsarten an einem Arbeitsplatz vorkommen, um die richtigen Leitmerkmalmethoden zu finden. Es kann sein, dass man die Tätigkeiten in Teiltätigkeiten einteilen muss.“ Die für eine Tätigkeit typischen Belastungsfaktoren werden bewertet und einem von vier Risikobereichen von gering bis hoch zugeordnet.

Wird das Risiko als hoch eingestuft, muss der:die Arbeitgeber:in umgehend Maßnahmen setzen. Dabei ist nach dem STOP-Prinzip – Substitution (Ausschalten der Gefahr) vor technischen und organisatorischen und zuletzt personenbezogenen Maßnahmen – vorzugehen. DI Michael Wichtl von der Abteilung für Unfallverhütung und Berufskrankheitenbekämpfung der AUVA beschrieb als Praxisbeispiel für eine technische Maßnahme das Herunterheben von 50 kg schweren Ausschuss-Säcken von der Rollbahn einer Maschine. Da eine Reduktion des Gewichts der Säcke auf 25 kg technisch und organisatorisch nicht umsetzbar war, empfahl die AUVA die Anschaffung einer Hebehilfe.

Zu den personenbezogenen Maßnahmen gehört auch der Einsatz von Exoskeletten. Mag. Norbert Lechner, Fachkundiges Organ Ergonomie in der AUVA-Hauptstelle, wies darauf hin, dass Exoskelette das Potenzial haben, Belastungsspitzen zu reduzieren, aber oft überbewertet oder falsch eingesetzt werden. Das Ziel solle nicht Leistungssteigerung, sondern müsse die Entlastung der Arbeitnehmer:innen sein. Als Positivbeispiel präsentierte er die Verwendung von Exoskeletten bei der im Weinhandel tätigen Morandell International GmbH. In der Logistik konnte die Beanspruchung um durchschnittlich 14,89 Prozent reduziert werden.

Good-Practice-Betriebe

Bei der Siemens AG Österreich in der Niederlassung Graz – Smart Infrastructure Electrification & Automation werden mehrere Maßnahmen zur Prävention von MSE kombiniert, darunter das Arbeitsprinzip „One-Piece-Flow“. „Ein kleiner Trupp Mitarbeiter:innen wandert mit dem Produkt mit, das bedeutet einen Wechsel zwischen körperlich höherer und geringerer Belastung“, so Mag. Jasmin Pichler, bei Siemens in Graz für Qualitätsmanagement und Environment, Health and Safety Management zuständig.
In der Kärntner Evonik Peroxid GmbH setzte man zur Verhinderung von MSE auf AUVAfit Ergonomie. Mit Unterstützung von Mag. Roland Grabmüller, MA, Fachkundiges Organ Ergonomie vom Unfallverhütungsdienst der Landesstelle Graz, wurde ein Maßnahmenpaket erarbeitet. „Wir haben einen Mini-Lift dafür adaptiert, PE-Folie in die Folieranlage einzubringen. Davor haben die Mitarbeiter:innen die bis zu 40 kg schweren Folienrollen zu zweit gehoben“, führte Ing. Gerhard Pichler, Sicherheitsfachkraft bei Evonik, eine der Maßnahmen an.

Wiedereingliederung

Erhöht die Handhabung schwerer Lasten schon für gesunde Arbeitnehmer:innen die Gefahr von Muskel-Skelett-Erkrankungen, ist das Risiko nach einem Unfall noch größer. Vor einer Wiedereingliederung nach einem Arbeitsunfall, muss daher geklärt werden, ob der:die Betroffene wieder an den früheren Arbeitsplatz zurückkehren kann. Eine Entscheidungsgrundlage zur Beurteilung der individuellen Arbeitsfähigkeit liefert die „Evaluation der funktionellen Leistungsfähigkeit“ (EFL), die in der AUVA-Rehabilitationsklinik Tobelbad durchgeführt wird. Rehabilitation nach Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten ist neben Prävention, Unfallheilbehandlung und Entschädigung eine der vier Kernaufgaben der AUVA.

Anhand von standardisierten Tests, die typische Belastungen am jeweiligen Arbeitsplatz simulieren, stellt man fest, ob der:die Patient:in die bisher ausgeübten Tätigkeiten uneingeschränkt oder in reduziertem Ausmaß durchführen kann bzw. ob er:sie Hilfsmittel dafür benötigt. „Auch eine Empfehlung zur Umschulung ist möglich“, erklärte Dr. Ursula Kropiunig, Oberärztin in der Rehabilitationsklinik.

Damit es erst gar nicht so weit kommt, dass Beschäftigte infolge von Unfällen oder Erkrankungen ihren Beruf nicht mehr ausüben können, müssen entsprechende Bedingungen geschaffen werden, wie Leodolter im Schlusswort zur Veranstaltung betonte: „Wir gehen von der Belastung aus und schauen, welche Unterstützungsmöglichkeiten es gibt. Es geht darum, Arbeitsplätze so zu gestalten, dass sie die Gesundheit der Arbeitnehmer:innen erhalten – oder im besten Falle vielleicht sogar fördern.“ (rp)

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