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Von müden zu munteren Zellen: neue Ansätze in der regenerativen Medizin

Die Stammzelltherapie gilt seit Jahren als einer der vielver­sprechendsten Ansätze in der ­regenerativen Medizin. Von ­Arthrose über Rückenmarksverletzungen bis hin zu Herzkrankheiten scheint es kaum ein Anwendungsgebiet zu geben, in dem die kleinen Zellwunder nicht zumindest theoretisch Linderung oder Heilung versprechen.

In der klinischen Praxis zeigt sich, dass die Sache komplexer ist, als es zunächst scheint. Zwar steckt in den Stammzellen ein enormes Potenzial, doch nur, wenn man sie optimal zu nutzen weiß.

Stammzellen sind wie kleine lebende Organismen und keine magische Reparaturtrupps. Alle Zellen, die kleinsten lebenden Bausteine unseres Körpers, verhalten sich im Grunde wie das große Ganze – wie wir selbst. Sie brauchen die richtige Nahrung, sie bewegen sich, sie werden alt und erschöpft. Manche Zellen spüren gerne die Nähe anderer Zellen, andere haben kein Problem, auch auf sich allein gestellt leistungsfähig zu sein. Leistungsfähig ist hier das richtige Stichwort. Die Zellen – Stammzellen wie auch Körperzellen – leisten so einiges. Zu jedem Zeitpunkt unseres Lebens kümmern sie sich darum, unseren Körper instand zu halten. Was eine Stammzelle von einer Körperzelle unterscheidet, ist, dass diese sich noch entscheiden kann, welchen „beruflichen“ Weg sie gehen möchte: Möchte sie später einmal Knochen, Knorpel oder Muskel produzieren? Vieles ist möglich. Aber nur, wenn auch die Rahmenbedingungen passen.

Wie Stammzellen sich verhalten, hängt von vielen Faktoren ab: ihrer Gesundheit, ihrer Umgebung und davon, wie sie eingesetzt werden. Eine Stammzelle, die uncharakterisiert und unspezifisch in eine Gelenkskapsel injiziert wird, wird nicht imstande sein, einen lokalen Defekt im Gelenksknorpel zu füllen. Derartige Verkaufsversprechen bringen nur das gesamte Forschungsfeld in die Bredouille. Teure Behandlungen, bei denen Stammzellen in ein erkranktes Gewebe injiziert werden, enden nicht selten in Enttäuschung: Die Schmerzen bleiben, die erhoffte Regeneration bleibt aus. Stammzellen können viel, aber nicht alles, und sie können vor allem nicht zaubern. Sie brauchen präzise Steuerung und das richtige „Handwerkszeug“ – und sie müssen zuerst einmal selbst gesund sein.

Stammzellquelle: Fettgewebe

Beim Wort „Stammzelle“ denken viele an Embryos oder Nabelschnurblut. Die sogenannten pluripotenten Stammzellen – jene, die alles können – gibt es tatsächlich nur in den frühesten Stadien unserer Entwicklung. Doch nach den Alleskönnern bleiben immer noch jene, die vieles können: „adulte Stammzellen“, aus erwachsenem Gewebe gewonnen.
Ein besonders vielversprechender Ansatz ist die Nutzung von Stammzellen aus Fettgewebe. Diese sogenannten Fettstammzellen sind leicht zugänglich und in hoher Zahl verfügbar – perfekt für die patienten:patientinneneigene Stammzellspende. Sie können sich in Zellen verwandeln, die Weichgewebe, Knochen oder Knorpel aufbauen und so geschädigtes Gewebe reparieren, Entzündungen hemmen und Heilungsprozesse unterstützen. Doch nicht alle Fettstammzellen sind darin gleich gut. Wie alle Zellen – und alle Lebewesen – haben sie gute und schlechte Tage. Ihre Regenerationsfähigkeit hängt von Faktoren wie Alter, genetischen Voraussetzungen oder Krankheiten der Spender:innen ab.

Dr.in Marlene Wahlmüller, Wissenschaftlerin am Ludwig Boltzmann Institut für Traumatologie (LBI Trauma), dem Forschungszentrum in Kooperation mit der AUVA, arbeitet in der Forschungsgruppe für zellbasierte Therapien, geleitet von Dr.in Susanne Wolbank. Sie beforscht das regenerative Potenzial von Fettstammzellen, zum Beispiel jenen von Lipödem-Patienten:-Patientinnen.

Neue Ansätze zur Optimierung der Stammzelltherapie

In ihrer Doktorarbeit, die sie in der LBI-Trauma-Zweigstelle in Linz absolvierte, untersuchte Wahlmüller verschiedene Methoden, um die Funktion von Fettstammzellen zu verbessern.

So fand sie heraus, dass Fettgewebe oft sogenannte seneszente Zellen enthält, die entzündliche Signale aussenden und die Funktion der regenerativen Zellen beeinträchtigen können. Mit speziellen Medikamenten, die diesem Zustand entgegenwirken, konnte sie zeigen, dass sich die regenerative Qualität von Zellproben deutlich verbessern lässt. Dadurch könnte in Zukunft auch die Wirksamkeit einer Stammzelltherapie bei Patienten:Patientinnen fortgeschrittenen Alters oder jenen mit Vorerkrankungen gesteigert werden.

Zusätzlich arbeitete Wahlmüller an einer Methode, erschöpfte Zellen durch biophysikalische Stimulation zu aktivieren. In einer 3D-Mikrofluidik-Plattform wurden Fettstammzellen einer Stoßwellenbehandlung ausgesetzt. Das Ergebnis: Die Zellen zeigten eine verbesserte Funktionalität und Fitness, unter anderem durch erhöhte ATP-Freisetzung – Adenosintriphosphat (ATP) ist ein chemisches Molekül, das Energie bereitstellt – und Differenzierungsfähigkeit. Diese innovativen Ansätze könnten die Basis für effektivere Behandlungen schaffen.

Die Forschung an Fettstamm­zellen ist also weit mehr als ein Blick in die Zukunft. Sie zeigt, dass wir bereits heute daran arbeiten, die regenerative Medizin zuverlässiger und wirksamer zu machen. Und sie erinnert daran, dass auch Wunderzellen eine sorgfältige Hand benötigen, um ihr Potenzial zu entfalten. (cs)

Wissen: Was sind Lipödeme?

Lipödem ist eine chronische Fettgewebserkrankung, die vor allem Frauen betrifft und zu einer krankhaften Fettvermehrung, insbesondere an Beinen und Hüften, führt. Obwohl laut aktuellen Schätzungen bis zu 10 Prozent aller Frauen davon betroffen sind (bei Männern sind Lipödeme äußerst selten), wird die Erkrankung oft missverstanden und verkannt. In frühen Stadien ähneln die Symptome Übergewicht, und viele Frauen erhalten statt einer Diagnose den Rat abzunehmen – meist ohne Erfolg, da Diäten und Sport das krankhafte Fettgewebe nicht reduzieren können. „Die hat halt dicke Beine“ – solche Kommentare hören Betroffene leider viel zu oft, obwohl das Lipödem eine ernsthafte und äußerst schmerzhafte Fettgewebsstörung ist. Typischerweise tritt es symmetrisch an Beinen, Armen und Hüften auf, oft begleitet von einem schweren Gefühl, Druckempfindlichkeit und einer Neigung zu blauen Flecken. Wie sich in einer kürzlichen Studie der Forschungsgruppe zeigte, sind die Fettstammzellen im Lipödemgewebe nicht nur betroffen von den krankhaften Veränderungen, sie sind sogar teilweise am Krankheitsgeschehen beteiligt. Zellen aus erkrankten Geweben für Therapien einzusetzen, wäre also sicher keine gute Idee.

Das Bild zeigt die Nahaufnahme einer Person in einem Labor, die eine Tür zu einem Kühlgerät öffnet, in dem mehrere Reihen von Röhrchen mit roten Verschlüssen aufbewahrt werden. Die Szene ist kühl und steril, mit metallischen Oberflächen und einem Fokus auf Laborarbeit.
Außerhalb des Körpers werden Stammzellen im Brutschrank kultiviert. Die Wissenschaftler:innen am LBI Trauma kümmern sich mehrmals pro Woche um die Kulturen.
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