Pro Jahr werden im Schnitt in Österreich mehr als 11.700 Menschen aufgrund der Hauptunfallursache Ablenkung im Straßenverkehr verletzt und 90 Menschen getötet. „Ablenkung“ führt aktuell die Liste der Ursachen für tödliche Verkehrsunfälle an. Zu den häufigsten und risikoreichsten Ablenkungen im Straßenverkehr gehören störende oder gar alkoholisierte Mitinsassen:Mitinsassinnen, das Essen und Trinken am Steuer und das Hantieren mit dem Smartphone beim Fahrzeuglenken. DI Klaus Robatsch, Leiter des Bereichs Verkehrssicherheit im Kuratorium für Verkehrssicherheit (KFV), erklärt dazu: „Wenn früher von der Handynutzung am Steuer die Rede war, dann ging es primär darum, ob jemand erlaubterweise mit oder verbotenerweise ohne Freisprecheinrichtung telefonierte. Heute müssen wir der Frage nachgehen, ob das Lesen von Textnachrichten am Steuer sogar noch gefährlicher ist als das Schreiben. Und tatsächlich ist das Lesen sogar noch riskanter als das Schreiben.“
Der Mythos vom Multitasking
Viele Menschen glauben, sie könnten problemlos mehrere Aufgaben gleichzeitig erledigen, doch wissenschaftliche Untersuchungen widerlegen längst diesen Multitasking-Mythos: Das Gehirn kann sich nur auf eine komplexe Aufgabe konzentrieren. Wer daher während des Fahrens Nachrichten schreibt, liest oder telefoniert, wechselt ständig zwischen den Tätigkeiten – mit gefährlichen Verzögerungen in der Reaktionszeit.
Das Tippen von Nachrichten erfordert sowohl visuelle als auch manuelle und kognitive Ressourcen: Bereits fünf Sekunden Ablenkung bei einer Geschwindigkeit von 50 km/h entsprechen einer Strecke von etwa 70 Metern – das ist die Länge eines Fußballfeldes. Der Griff zum Handy, um soziale Medien zu checken, erzeugt eine besonders starke Ablenkung. Die ständige Verfügbarkeit verführt dazu, laufend vermeintlich kurze Blicke aufs Display zu werfen, die in der Realität oft mehrere Sekunden dauern.
Junge Leute besonders sorglos
Wie eine aktuelle Umfrage des KFV zeigt, telefonieren 55 Prozent der autolenkenden Bevölkerung während einer einstündigen Autofahrt mindestens einmal mit dem Handy, knapp ein Drittel lesen und rund ein Sechstel schreiben sogar Nachrichten. Sechs Prozent haben eingeräumt, dass sie beim Autolenken Social Media nutzen. Auffallend ist die hohe Sorglosigkeit unter jungen Menschen: Nur 29 Prozent der 17- bis 19-Jährigen sehen das Lesen von Nachrichten am Handy während der Teilnahme am Verkehrsgeschehen als sehr gefährlich an. Besonders fatal kann es enden, wenn jemand als ungeschützter:ungeschützte Verkehrsteilnehmer:in zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs ist und in einen Verkehrsunfall verwickelt wird – sei es nun, weil die zu Fuß Gehenden selbst abgelenkt waren oder deren Unfallgegner:innen. 24 Prozent aller polizeilich erfassten Unfälle mit zu Fuß gehenden Personen passieren in Österreich aufgrund von Ablenkung, bei den Fahrradunfällen liegt der Anteil der Ablenkungsunfälle sogar bei 40 Prozent.
Verkehrssicherheitsexperte Robatsch fordert daher eine Reihe von Maßnahmen, um die Anzahl der Ablenkungsunfälle zu senken: „Es braucht dringend eine Bewusstseinsbildung bei den Verkehrsteilnehmer:innen, vor allem in der Altersgruppe 15 bis 24 Jahre, etwa durch die Weiterentwicklung der schulischen Verkehrserziehung mit einem Schwerpunkt auf Ablenkung durch das Smartphone.“ Probeführerscheinbesitzer:innen müssen derzeit bei einem Verstoß gegen das Verbot des Telefonierens ohne Freisprecheinrichtung am Steuer eine Nachschulung besuchen. „Für diese Zielgruppe wären deliktspezifische Kurse zum Thema Ablenkung durch Mobiltelefone empfehlenswert“, meint Robatsch und fordert weiters verstärkte Kontrollen durch die Exekutive, auch von Radfahrenden. Die Bestrafung für die Verwendung eines Mobiltelefons beim Lenken eines Kfz ohne Freisprecheinrichtung ist derzeit nur bei Anhaltung durch die Organe der Straßenaufsicht oder aufgrund von bildgebender Verkehrsüberwachung möglich. „Diese Hürde verhindert Sanktionierungen, wenn die Anhaltung nicht möglich ist. Daher sollte diese beseitigt werden“, sagt Robatsch.
„Park & Write“
Auch die ASFINAG hat das Thema Ablenkung im Rahmen einer Studie untersucht und als Reaktion auf die Dringlichkeit des Themas die Verkehrssicherheitskampagne „Park & Write“ ins Leben gerufen. „Nicht nur das Handy ist ein Störfaktor, auch Navigationssysteme, die während der Fahrt bedient werden, sorgen für Ablenkung“, sagt Mag. Hartwig Hufnagl, Vorstandsdirektor der ASFINAG. Trotzdem greifen die meisten am Steuer weiter zu ihrem Mobiltelefon oder dem Navi. Die Lösung für mehr Sicherheit ist einfach und liegt vor allem näher, als die meisten glauben, denn: „Es sind im Durchschnitt nur knapp vier Minuten Fahrzeit bis zur nächsten Rastmöglichkeit, um dort sicher telefonieren oder Nachrichten checken zu können“, weiß Hufnagl. Die ASFINAG betreibt entlang der 2.250 Kilometer Autobahnen und Schnellstraßen 59 eigene Rastplätze und 108 Parkplätze. Dazu kommen noch 89 Raststationen mit Tankstellen und Restaurants mit ausreichend Parkplätzen. Im Durchschnitt steht also alle neun Kilometer eine Rastmöglichkeit zur Verfügung. (rh)
28 % der österreichischen Autofahrer:innen haben bereits während einer einstündigen Fahrt mindestens einmal am Steuer Nachrichten gelesen.
4 Min. – Es sind im Durchschnitt nur knapp vier Minuten Fahrzeit bis zur nächsten Rastmöglichkeit, um dort sicher telefonieren oder Nachrichten checken zu können.
Verhaltenstipps, um sich im Straßenverkehr nicht vom Handy ablenken zu lassen
- Handy vor Fahrtbeginn stumm schalten oder in den Flugmodus versetzen: So vermeiden Sie, dass eingehende Anrufe, Nachrichten oder Benachrichtigungen Ihre Aufmerksamkeit auf sich ziehen.
- Smartphone außer Reichweite aufbewahren: Legen Sie das Telefon beispielsweise in die Handtasche, ins Handschuhfach oder den Kofferraum, damit Sie nicht in Versuchung geraten, während der Fahrt darauf zu schauen.
- Nutzung von „Bitte nicht stören“- oder Fahrmodus-Funktionen: Moderne Smartphones bieten spezielle Einstellungen, um während der Fahrt automatisch Benachrichtigungen stumm zu schalten oder Anrufer:innen zu informieren, dass Sie momentan nicht erreichbar sind.
- Navigation vorab einstellen: Wenn Sie das Handy zur Navigation nutzen, richten Sie das Ziel vor Fahrtantritt ein und verwenden Sie eine stabile Halterung. Stimmen Sie Ton, Sprache und Helligkeit an, sodass Sie nicht während der Fahrt auf das Display schauen müssen.
- Lieblingsmusik vorab auswählen: Suchen Sie sich den passenden Radiosender oder legen Sie eine Playlist Ihrer Lieblingsmusik an und verzichten Sie während des Fahrens auf Änderungen.
- Erst anhalten, dann kommunizieren: Falls ein dringender Anruf kommt, Sie eine Nachricht lesen oder schreiben müssen, suchen Sie sich einen sicheren Parkplatz, halten Sie an und erledigen erst dann Ihr Anliegen. Niemals während der Fahrt tippen oder suchen.
- Bewusstsein für Risiken schärfen: Machen Sie sich bewusst, dass bereits wenige Sekunden Ablenkung lebensgefährlich sein können. Dieses Bewusstsein unterstützt die Selbstdisziplin, das Handy während der Fahrt in Ruhe zu lassen.
- Einsetzen von Freisprechanlagen: Das Verwenden von einer Freisprecheinrichtung ist in Österreich Pflicht. Dennoch sollte diese nur sparsam genutzt werden, da selbst freihändiges Telefonieren die Konzentration stören kann.